Ein Seetag auf der Dillingen

Im Oktober 2009

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Das Heck des Bootes schert nach steuerbord achtern aus und verlässt den Liegeplatz des 3. Minensuchgeschwaders in Kiel. Der III.WO – ein junger Oberleutnant – ist frisch an Bord nach Beendigung seines Studiums und manövriert unter den kritischen Blicken des I.WO das Minenjagdboot der Frankenthal-Klasse auf die Förde hinaus. Bei klarem Winterwetter und ruhiger See geht es zunächst stadteinwärts am Kieler Landtag vorbei und später für einige Manöver auf die Außenförde. Diese Fahrt findet statt für eine Gruppe von angehenden Abiturienten aus Niedersachsen und Baden-Württemberg mit ihrem Begleiter, einem Hauptbootsmann der Stabsstelle Nachwuchsförderung. Und dabei bin auch ich – gerade 60 geworden und voller Erinnerungen an meine Dienstzeit als junger II.WO im 4. Minensuchgeschwader Wilhelmshaven. Ein kluger Schachzug der Pressestelle der Einsatzflottille 1, mögliche Anwärter für die Offizierslaufbahn mit einem alten Hasen auf einen Törn zu schicken.

Wir absolvieren gemeinsam die Einweisung in die Rettungsmittel und begeben uns dann mit dem II.WO auf einen Rundgang durch den Minenjäger. Auf der Brücke gibt es ein Wiedersehen mit Fahrstand, Radar, Funk und Navigation. Alles – wie zu erwarten – moderner und effektiver. Statt des senkrechten Voith- Schneider-Antriebs drehen die 5500 PS starken Motoren zwei Wellen mit Verstellpropellern und angehängten Rudern. Manövrieren auf dem Teller und Geschwindigkeiten bis 18kn sind möglich. Der Kommandant – ein aktiver Minentaucheroffizier – gibt uns weitere Informationen über das Boot: operativer Auftrag, Bewaffnung, die Einsätze im Natoverband und die Anforderungen an die Besatzung während der langen Auslandsfahrten.

Welch ein Unterschied zu früher! Vor 40 Jahren haben wir auf den Küstenminensuchbooten (KM-Boote) ausschließlich Dienst in Nord- und Ostsee getan. Mit den jeweiligen Suchgeräten haben wir neben den Schiffahrtswegen alte Minen geräumt, d.h. dokumentierte Überläufe gemacht, um akustische oder magnetische Zündsysteme zu deaktivieren. Trondheim (Norwegen), Sheerness Großbrittanien) und Oostende (Belgien) waren Ziele für Auslandsfahrten. Heute liegt die operative Aufgabe im Mittelmeer oder am Horn von Afrika mit langen Törns durch den Atlantik. Echte Seefahrt also.

Von der Brücke geht es in die Operationszentrale. Durch ein Doppelschott gelangen wir in den klimatisierten Überdruckbereich des Schiffsinneren. In der OPZ wird das Boot im Einsatz gefahren und sämtliche Funktionen der Minenjagd gesteuert. Die Bedienerplätze sind vollelektronisch ausgestattet und die Schaltelemente schocksicher angebracht. Der Einsatzoffizier ermittelt zunächst über Sonar ein Objekt unter Wasser, das entweder über Feinsonar sofort, über den Einsatz einer Drohne per Kamera oder mittels Tauchereinsatz identifiziert wird. Mit einer passenden Sprengladung wird die Mine dann zur Zündung gebracht.

Der weitere Rundgang führt in den Bereich der Minentaucher. Ein Oberbootsmann erläutert die Handhabung der Ausrüstung und erklärt die für den Notfall installierte Druckkammer. Anschließend geht es in den halboffenen Bereich. Hier werden die Drohnen für die Unterwasserjagd gelagert, vorbereitet und eingesetzt. Für mich ist dieser Bereich besonders interessant. Als Oberfähnrich habe ich damals an einem Lehrgang zum schiffstechnischen Taucheroffizier in Neustadt teilgenommen. Die Ausbilder hatten mich ermuntert, eine spätere Verwendung bei den Minentauchern in Erwägung zu ziehen. Da ich aber zu diesem Zeitpunkt bereits Familie hatte und nach der Bundeswehrzeit ein Studium aufnehmen wollte, kam diese Möglichkeit nicht in Frage. Ich fühle mich daher dem Kommandanten verbunden, der die anspruchsvolle und spannende Ausbildung als Minentauchoffizier durchlaufen hat.

Mittlerweile sind wir in der Außenförde angelangt. Die Dünung hat zugenommen. An Deck wird von den Minentauchern ein Schlauchboot für einen Trip auf der Ostsee vorbereitet. Das ist etwas für die jungen Leute. Sie steigen in den Seenotanzug und werden im Schlauchboot auf dem Wasser ausgesetzt. Dann geht es jeweils für einige Male um den Minenjäger herum, damit sie auf richtigen Wellen reiten können. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich während der halbjährlichen Schulschiffreise auf Tender Ruhr im Atlantik freiwillig eine Stunde in einer Rettungsinsel verbrachte: ein Erlebnis, das ich bis heute nicht vergessen habe! Als alle wieder wohlbehalten an Bord sind – keiner ist so grau im Gesicht wie damals ich -lässt der Kommandant die 40mm-Beaufort-Kanone abfeuern, um einen Eindruck von der Feuergeschwindigkeit zu vermitteln. Trotz sorgfältig eingebrachter Ohrenstöpsel klingt die Salve noch einige Zeit nach.

Während der Rückfahrt nutze ich die Gelegenheit zu Gesprächen mit der Besatzung. Trotz der hohen Inanspruchnahme während der Einsatzfahrten ist die Stimmung gut. Bei einer Besatzung von ca 40 Mann gibt es nur zwei Berufssoldaten, die anderen sind Zeitsoldaten mit einer Dienstzeit zwischen 8 und 12 Jahren, bei einem Höchstalter von 30 Jahren. Während die Bootsleute nach den Lehrgängen ihre gesamte Dienstzeit auf demselben Boot verbringen wechseln die Wachoffiziere im Rhythmus von anderthalb Jahren ihre Dienststellung. Sie beginnen nach dem Studium als IIIWO, werden IIWO und bei entsprechender Qualifikation sogar IWO. Als IWO mit Kommandantenzeugnis haben sie gute Aussichten, dass eine Bewerbung zum Berufsoffizier angenommen wird.

Aus den Gesprächen mit zwei jungen Leuten erfahre ich später, was die Marine für sie interessant macht. Eine Schülerin aus Elsfleth ist am Wasser und im Dunstkreis der Marinewerft Abeking&Rasmussen groß geworden. Ein Schüler aus Baden-Württemberg trägt ein DLRG-T-Shirt: das Wasser zieht ihn magisch an. Das kann ich gut nachvollziehen. Als angehender Abiturient war ich jahrelang in der DLRG-Tauchergruppe Hannover aktiv. Die Entscheidung für eine Dienstzeit in der Marine war für mich selbstverständlich. Natürlich werde ich auch gefragt, ob ich heute nochmals zur Marine gehen würde. Wenn ich daran zurückdenke, dass ich nach der Zeit als Z4 (Zeitoffizier 4 Jahre) das Studium der Volkswirtschaftslehre begonnen und mich mit Familie bis zum Abschluss durchgekämpft habe, kann ich dies nur bejahen; wegen der finanziellen Sicherheit für die Familie und den beruflichen Chancen in der Wirtschaft. Akademiker mit langjähriger Führungserfahrung in hochspezialisierten Teams sind gefragt.

Voraus kommt die Pier in Sicht! Der IIWO führt ein Längsseitsmanöver. Auf der Brücke herrscht volle Konzentration. Beide Maschinen auf Null! Alle Leinen fest! Abpfiff. Ein gelungenes Anlegemanöver – der Kommandant ist zufrieden. Diesen Tag auf See haben wir alle sehr genossen.

Dipl. Vw. Manfred Gröber, LtzS dR